Sonntag, 22. Dezember 2013

Seraphino Ambroisies Reise in die Glückseligkeit


Eigentlich wollte er schon lange ein Buch schreiben. Die Geschichte hatte er grob im Kopf. Es sollte ein Roadbook sein, ein Buch, das vom Reisen erzählt und von sinnlichen Begegnungen und Genüssen nicht nur kulinarischer Art. Aber er konnte einfach keinen Anfang finden. Er sass, da, in der Küche, zwischen karamellisierten Mandeln und Haselnüssen, im Backofen bräunten buttrige Financiers vor sich hin und auf dem Küchentisch lagen vier Kochbücher die die  göttliche Schokolade zum Thema hatten.

Seraphino Ambroisies Frau stand am Abwaschbecken und reinigte die Teigschüsseln, den Pinsel, die Backformen und Bleche, leise vor sich hinsummend. Es war der 21. Dezember, Weihnachten stand vor der Tür und überall wo man zu den dunklen Küchenfenstern rausschaute strahlten beleuchtete Tannenbäume und blinkten Balkonbeleuchtungen.

Und genau jetzt hatte er sich entschieden, seinen Laptop aus dem Büro im ersten Stock zu holen, sich zwischen Küchentisch und Heizung zu setzen und sein Buch, das er eigentlich schon lange schreiben wollte anzufangen.

Ein Reisebuch sollte es also werden. Auch wenn man nicht immer wusste, wohin die Reise ging, einen Anfang zu finden war doch eigentlich ganz einfach.  Sollte man meinen. Aber wo fängt eine gute Geschichte an? Wo   fängt   eine   gute   Geschichte   an? Seraphino kam bereits ins Grübeln. Seine Frau bräunte inzwischen Zwiebeln für das Abendessen und der wunderbare Duft stieg ihm in die Nase. Wo fing die Reise der Zwiebel an. Beim Steckling? Beim Samen? Bei der Blüte vorher, beim Steckling vorher ... Wo fing seine eigene Reise an? Beim Bewusstsein werden? Das brachte ihn auf den Gedanken, dass das Schreiben ja ein schöpferischer Akt sei und dass er Herr und Meister seiner Figuren sei und er deshalb auch bestimmen könne, wo die Reise anfing. Es war wirklich ganz einfach: Die Reise seines Helden sollte nirgends anfangen. Er war nämlich schon unterwegs.

Regen klatsche an die Scheiben und die Scheibenwischer stemmten sich bei jedem Hochfahren mit nervtötendem Quietschen gegen die sintflutartigen Wassermassen, die die Sicht von Roberto auf ein Minimum reduzierten. Er steuerte seinen Wagen so gut er konnte auf der Landstrasse die von Craintilleux nach Unias führte. In einer langgezogenen Rechtskurve wäre er beinahe mit einem der seltenen, entgegenkommenden Fahrzeug kollidiert. Man sah aber auch wirklich nichts. Er wusste nun sollte eine lange Gerade kommen und dann musste da irgendwo links die Abbiegung sein die zum Haus seiner Tante führte. Tante Monique, oder Minette, wie sie von allen genannt wurde, war eine eingefleischte Junggesellin fortgeschrittenen Alters. Ihr Gesicht war voller Falten und Altersflecken aber im Kopf war  sie um einiges jünger als viele ihrer Neffen und Nichten. Und zudem kochte sie die weltbeste Minestrone. Genau auf diese freute er sich jetzt nach dieser langen und mühsamen Fahrt.


Bildquelle: http://www.cravebyrandomhouse.ca/2012/10/30/winter-minestrone-garlic-bruschetta/


(Fortsetzung folgt)

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